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Nutzlose Vereinbarung über Nichtraucherbereiche in der Gastronomie

Interview mit Krebsforschungsexpertin Dr. Martina Pötschke-Langer

[10.03.2005/ls] Anfang März traf die deutsche Bundesregierung auf Initiative der Bundesdrogenbeauftragten, Marion Caspers-Merk, eine Vereinbarung über die stufenweise Einführung so genannter "Nichtraucherplätze" in Teilen der deutschen Gastronomie. Über diese Vereinbarung sprach die Wormser Zeitung mit Dr. Martina Pötschke-Langer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg.

Frau Pötschke-Langer äußerte sich kritisch zu dieser Übereinkunft, die nach ihrer Aussage keinerlei Fortschritt für Nichtraucher brächte. Sie fordert statt dessen eine vollständig rauchfreie Gastronomie, wie sie bereits in fortschrittlicheren EU-Staaten wie Irland und Italien erfolgreich umgesetzt wurde, und dort wunderbar funktioniert.

Dr. Pötschke-Langer sprach deutlich die von den Tabakdrogen ausgehende Gefahr an. Denn der beim Konsum der Glimmstängel entstehende Qualm ist "mit Abstand der bedeutendste und gefährlichste Innenraumschadstoff", der zudem vermeidbar ist.

Von den 380 Millionen Zigaretten, die in Deutschland täglich in Rauch aufgehen, werden die meisten in Innenräumen verqualmt, sehr viele davon in der Gastronomie. Davon sind nicht nur die Gäste betroffen, Raucher wie Passivraucher, sondern in besonderem Maße auch die Mitarbeiter. Zu berücksichtigen ist also auch das Thema Arbeitsschutz. Dr. Pötschke-Langer bemängelt, dass die Arbeitsplätze des Personals in der Gastronomie in keiner Weise geschützt werden. Ganz anders sieht es in der chemischen Industrie aus, deren Arbeitsplätze weitgehend schadstofffrei sind.

Im Interesse aller Gäste und des Personals ist also ein Rauchverbot in der Gastronomie nicht nur sinnvoll, sondern absolut notwendig. Die rundum positiven Auswirkungen eines solchen Rauchverbots werden eindrucksvoll von den europäischen Vorbildern Irland und Italien demonstriert, ebenso wie dessen erfolgreiche praktische Umsetzbarkeit.

Die Ärztin widersprach deshalb energisch den vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) propagierten Äußerungen, ein Rauchverbot würde zu drastischen Umsatzeinbußen führen. Pötschke-Langer kritisierte diese als "ein Märchen, welches gepflegt wird, obwohl der Verband genau weiß, dass es in Italien, Irland oder auch in Kalifornien, Australien und New York - dort gibt es das Rauchverbot schon länger - zu keinem Umsatzrückgang gekommen ist, sondern eher zu einer Steigerung. Es wurden sogar zusätzliche Arbeitsplätze gewonnen, weil viele Nichtraucher, die nicht vorher die Gaststätten aufsuchen konnten, dies nun tun." Beachtliche Teile der Bevölkerung wurden zuvor auf Grund ihrer Tabakrauchunverträglichkeit diskriminiert, insbesondere Familien mit kleinen Kindern, chronisch Kranke, Allergiker, Atemwegserkrankte, und auch Herz-Kreislauf-, Schlaganfall- und Krebspatienten.

Dr. Pötschke-Langer erläuterte, was die Tabakdrogen im Körper anrichten. Im Tabakrauch sind über 4800 Chemikalien enthalten, von denen etwa 70 krebserregend sind. Nach Forschungen des Krebsforschungszentrums sterben in Deutschland jährlich etwa 400 Menschen durch Lungenkrebs infolge des Passivrauchens, genauso viele Passivraucher erkranken jährlich neu daran.

Nach Aussage der am DKFZ tätigen Ärztin führt Tabakrauch bei den meisten Nichtrauchern zu Kopfschmerzen, Husten, Übelkeit, Reizungen der Schleimhäute und tränenden Augen. Bei bereits vorgeschädigten Menschen ruft Tabakrauch akute und chronische Herz- und Kreislauferkrankungen, sowie Atemwegserkrankungen hervor. Lungenentzündungen und starkes Asthma sind eine häufige Folge des Passivrauchens, ebenso Krebserkrankungen. Diese betreffen, wie bei Rauchern übrigens auch, den gesamten Körper, und beschränken sich keineswegs auf Lungenkrebs.

Dr. Pötschke-Langer schloss ihre Ausführungen mit der weltweit nachvollziehbaren Beobachtung, dass in allen Ländern mit vollständig rauchfreien Arbeitsplätzen, die auch die Gastronomie komplett erfassen, das Rauchverhalten um fünf bis zehn Prozenz zurückgegangen sei. Ihre Schlussfolgerung: die getroffene Vereinbarung zwischen der Bundesdrogenbeauftragten und dem DEHOGA "ist deshalb in keiner Weise zielführend".


Quellen und weitere Informationen:

Anmerkungen:

Als Anmerkung noch einige weiterführende Artikel zu den Auswirkungen der Rauchverbote in anderen Ländern:
Beschwerdeautomat
Beschwerde über Verstoß gegen Gleichstellung behinderter Menschen
Petition zum Schutz der Beschäftigten in der Gastronomie vor Zwangsmitrauchen
Abschiedsbrief an Restaurant wegen Rauchbelastung
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FDP
CDU
CSU
SPD
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