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Fotodokumentationen

Tabakdroge macht große Staatsmänner zu kleinen Suchtopfern

Strafanzeige lehrt Altkanzler Helmut Schmidt Manieren

[04.02.2008/pk] Seit Jahrzehnten qualmen Helmut Schmidt und Gattin Loki um die Wette, und nahmen dabei auch herzlich wenig Rücksicht auf ihre Mitmenschen. Der Altkanzler missbrauchte seine Position bewusst, und paffte sogar im Fernsehen ungeniert Gäste und Zuschauer ein. Wachsende Kritik an dieser Unhöflichkeit und Rücksichtslosigkeit prallte am alternden Exkanzler ebenso ab, wie bei den Verantwortlichen der Medien.

Den Bogen überspannten die Schmidts jedoch, als sie glaubten, sie könnten sich auch über das neue Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen wie gewohnt hinwegsetzen. Beim Neujahrsempfang in einem Hamburger Theater steckten sie sich ihre Kippen an, und wurden daraufhin von einer Nichtraucher-Initiative angezeigt. Auch gegen den Intendanten des Theaters, Michael Lang, erging Strafanzeige wegen der Unterstützung des gesetzeswidrigen Verhaltens. Mitarbeiter des Theaters hatten den Schmidts als einzigen Gästen sogar Aschenbecher zur Verfügung gestellt, weil sie besondere Ehrengäste seien.

Der zuständige Hamburger Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger äußerte sich prompt und unangemessen abfällig über diese Anzeige, und ließ bereits vor der eingehenden Prüfung des Falles verlautbaren, es werde wohl keine Strafverfolgung stattfinden. Noch am gleichen Abend behauptete der Hamburger Oberstaatsanwalt, es liege "ganz offensichtlich keine Körperverletzung" vor, und stellte das Verfahren ein.

Promi-Bonus für Helmut Schmidt

Peter Hahne stellt sich in der Bild-Zeitung mit den "Gedanken am Sonntag" die Frage, "muss der überparteilich respektierte Altkanzler sich wirklich so etwas bieten lassen?" Er kommt zu dem Schluss, "ja, er muss - auch wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren eingestellt hat. Denn das Rauchverbot ist in einer Demokratie, die Helmut Schmidt selbst mit aufgebaut und maßgeblich geprägt hat, rechtmäßig entschieden worden. Die Gleichheit vor dem Gesetz gehört zur Grundsubstanz unserer Rechtsordnung, einen Promibonus gibt es nicht."

Hahne kritisiert zurecht, dass die Raucherlaubnis des Hamburger Theaterchefs für das Ehepaar Schmidt als "eine absolute Ausnahme bei diesen treuen Ehrengästen" die Gesetzgebung ad absurdum führen würde. Eine derartige Auslegung hätte zur Folge, dass jeder Wirt für seine "Ehrengäste" das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen brechen könnte. Und warum sollten für die Stammgäste Meier und Müller andere Rechte gelten, nur weil sie nicht Schmidt heißen?

Konsequent zieht Peter Hahne sein Fazit aus diesen Überlegungen: "In unserer Republik ist es keine Majestätsbeleidigung, wenn man auch unsere Führungselite daran erinnert, dass Gesetze für alle da sind. Und Loki, Lehrerin der alten Schule, weiß am besten, dass Kinder nicht begreifen, warum man Gesetze einhalten muss, wenn selbst ein Staatsmann sie ignoriert."

Öffentliche Kritik bringt Altkanzler zum Einlenken

Unabhängig von der unmittelbaren juristischen Bewertung des Falls und der zweifelhaften Ablehnung durch die Staatsanwaltschaft hat die Aktion doch eine Menge bewirkt. Das Medienecho war groß, und es gab neben einer Reihe voreingenommener tabakfreundlicher Berichte auch viele kritische Stimmen. Denn schon längst haben es die Bürger in unserem Land satt, dass für Politiker und Raucher immer wieder Extrawürste gelten sollen.

Trotz des faden Beigeschmacks wegen des Verhaltens der Staatsanwaltschaft hat die Eskalation dieser Angelegenheit eine positive Seite. Sie verdeutlicht, dass gesetzliche Klarheit ganz offensichtlich sogar dann etwas bewirkt, wenn sich die Staatsanwaltschaft aus dubiosen Motiven heraus weigert, die Gesetze anzuwenden. Denn Helmut Schmidt hat, augenscheinlich zum ersten Mal, über dieses Thema nachgedacht und sogar die Konsequenz gezogen.

Wenige Tage später, bei einer SPD-Wahlpampfveranstaltung mit Ulrich Wickert und SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann (der das Rauchverbot wieder kippen will) im Hamburger Thalia-Theater fragten sich die Zuschauer gespannt, ob Schmidt auf Konfrontationskurs gehen und wieder rauchen würde. Auch aus Hamburger SPD-Kreisen war zu vernehmen, "es ist fast nicht vorstellbar, dass er dort nicht raucht". Doch Helmut Schmidt ließ tatsächlich die Mentholzigaretten stecken, und befriedigte seine Nikotinsucht mit Schnupftabak.

Das Ziel der Strafanzeige wurde damit erreicht, auch wenn die Tabak-Zeitung höhnisch verkündete "Am Altkanzler beißen sich die Anti-Tabak-Fanatiker die Zähne aus". Es geht nicht darum, Helmut Schmidt zu bestrafen. Es geht darum, dass Helmut Schmidt seinen Tabakkonsum in der Öffentlichkeit und die damit verbundene Schädigung seiner Mitmenschen einstellt. Diese Einsicht kam bei Helmut Schmidt zwar spät, aber mit ein bisschen Nachhilfe gelang es endlich doch.

Charakterstärke, Altersstarrsinn oder einfach Sucht?

Der Fall zeigt, dass militante und schwer süchtige Raucher nur durch entsprechende gesetzliche Regelungen zur Räson zu bringen sind. Bei Helmut Schmidt haben bislang unzählige Appelle an seine Einsicht, seine Verantwortung und seine Vorbildfunktion nichts genutzt. Es ist schon außerordentlich peinlich, dass erst eine Strafanzeige den ehemaligen Staatschef zur Vernunft bringen konnte.

Auch der zuvor erwähnte hämische Artikel des Tabak-Schmierblatts kann den Erfolg der Anzeige der Wiesbadener Nichtraucher-Initiative nicht wegdiskutieren. Das Blatt der Tabaklobby versucht, den Gesetzesbruch der Schmidts schönzureden. Durch Lobhudeleien über Schmidt wie "geistig aktiv und rege auch im stolzen Alter von 89 Jahren" soll darüber hinweggetäuscht werden, dass dessen uneinsichtiges Verhalten in Bezug auf das Rauchverbot nur die traurigen Züge von jahrzehntelanger Nikotinsucht und fortschreitendem Altersstarrsinn zeigt.

Helmut Schmidt hat sich bislang vielfach als Helfer der Tabakdrogenindustrie profiliert, unter anderem mit seiner Kolumne "Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt" in der "Zeit". Schmidt entwickelte sich jedoch immer mehr vom ehemaligen Vorzeige-Qualmer zum Ebenbild des rücksichtslosen, intoleranten und militanten Rauchers, der sich von nichts und niemandem in der Auslebung seiner Nikotinsucht abbringen lässt. Das passt der Tabakindustrie aber sicherlich überhaupt nicht in den Kram, denn sie ist krampfhaft bemüht, genau dieses Schmuddelimage ihrer Kundschaft zu übertünchen. So ist es denkbar, dass Helmut Schmidt von seiner Freunden von der Tabakindustrie zurück gepfiffen worden war, weil sie nicht noch mehr negative Publicity riskieren wollten.

Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberstaatsanwalt Bagger

Auf einer Fehleinschätzung der weiteren Entwicklung dieses Falls beruht die Behauptung der Tabak-Zeitung, die Anzeige sei "inzwischen aus der Welt". Es ist zwar leider wahr, dass der (noch) zuständige Hamburger Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger die Anzeige vom Tisch gefegt hat, und nicht weiter ermitteln will. Dabei hat er jedoch gewisse rechtsstaatliche Prinzipien außer Acht gelassen. Entsprechend wird die Angelegenheit für den voreingenommen und fachlich unzulänglich informierten Oberstaatsanwalt noch ein Nachspiel haben.

Unter anderem ist gegen Oberstaatsanwalt Bagger bereits eine Dienstaufsichtsbeschwerde bei der Generalstaatsanwältin der Freien und Hansestadt Hamburg, Angela Uhlig-van Buren, anhängig. Der Beschwerdeführer bemängelt, dass sich der Hamburger Oberstaatsanwalt bereits vor einer Beweisaufnahme öffentlich auf ein bestimmtes Ergebnis festgelegt, und damit eine Beeinflussung der Medien zugunsten der Familie Schmidt vorgenommen hätte. Die weitere Begründung der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Bagger stützt sich im Wesentlichen auf dessen Äußerungen gegenüber der Presse.

Zum einen verkündete Rüdiger Bagger, dass dieser Fall ein eindrucksvoller Beweis dafür sei, mit welchen Sachen sich ein Staatsanwalt beschäftigen müsse. Eine derart abwertende Äußerung eines Oberstaatsanwalt über ein laufendes Verfahren legt den dringenden Verdacht auf eine Voreingenommenheit und Interessenwahrnehmung zugunsten der beklagten Familie Schmidt in dieser Strafanzeige nahe.

Des weiteren stützte der Hamburger Oberstaatsanwalt seine ablehnende Begründung auf die Ansicht, dass die Grenze von Belästigung zur Körperverletzung durch den Zigarettenrauch nicht überschritten sei. Diese Ansicht lässt in Bezug auf die Strafanzeige gegen die Schmidts darauf schließen, dass Bagger in dieser Angelegenheit befangen und auch in der Sache nicht kompetent ist.

Staatsanwaltschaft demonstriert erschreckende fachliche Mängel

Die mangelnde Kompetenz Baggers begründet der Beschwerdeführer unter anderem mit einem Urteil des Bundesverfassungesgerichts (Beschluss 2 BvR 1915/91 vom 22. Januar 1997 im Absatz 57): "Im Ergebnis ist nach heutigem medizinischen Kenntnisstand gesichert, dass Rauchen Krebs sowie Herz- und Gefäßkrankheiten verursacht, damit zu tödlichen Krankheiten führt und auch die Gesundheit der nicht rauchenden Mitmenschen gefährdet [...]".

Dabei beruft sich das Bundesverfassungsgericht auf Publikationen des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ): "Schon kurzzeitiges Passivrauchen reizt die Atemwege und schädigt das Blutgefäßsystem: Das Blut verklumpt, die Blutgefäßwände werden geschädigt und alle Organe, insbesondere der Herzmuskel, werden geringer durchblutet".

Der Initiator der Dienstaufsichtsbeschwerde kann als Mediziner noch weitere Argumente gegen Oberstaatsanwalt Baggers anführen: "In der Regel werden noch viele andere gesundheitliche Schäden durch das Passivrauchen verursacht, die alle eine Körperverletzung darstellen. Jede Einwirkung von Tabakrauch führt letztlich zu einer Verletzung des Organismus und damit zu einer Körperverletzung. Diese Zusammenhänge sind bei einer solchen Anzeige der Körperverletzung ggf. durch Einholung wissenschaftlicher Gutachten bei der Einzelfallprüfung zu belegen. Ein oberflächliches Bearbeiten, ohne die neusten Erkenntnisse zum Passivrauchen zu berücksichtigen, ist nicht sachgerecht und erweckt den begründeten Verdacht der Parteinahme."

Das Ergebnis der Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger steht noch aus. Man darf gespannt sein, ob sich am Ende der Rechtsstaat durchsetzt, oder doch die Tabaklobby mit ihren Marionetten in den höchsten Staatsämtern. Es dürfte jedoch klar sein, wer unabhängig vom Ausgang dieses Tauziehens der Verlierer bleibt: die Opfer der Tabakindustrie. Die Tabak-Zeitung triumphierte, dass Schmidt in der Öffentlichkeit nun zum Schnupftabak statt zum Glimmstängel greift. Den Tabakdrogendealern ist es egal, ob das Ansehen eines bedeutenden Politikers durch seinen Tabakkonsum zerstört wird - Hauptsache er bleibt dem Nikotin in irgendeiner Form hörig.

So macht die Tabakdroge selbst große Staatsmänner zu kleinen Suchtopfern. Der Mensch wird zum Spielball von Drogenhändlern, die für ihren eigenen Profit über Leichen gehen.


Quellen und weitere Informationen:

Beschwerdeautomat
Beschwerde beim Deutschen Presserat über Berichterstattung
Tabaklobby
Politik
SPD
Helmut Schmidt
Presse
Bild
Zeit
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