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Die ersten Bundesländer können aufatmen

DEHOGA-Panikmache provoziert Gastronomen-Pleiten

[16.08.2007/pk] In den Bundesländern Baden-Württemberg, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern können vom Passivrauch geplagte Menschen endlich aufatmen. Die ersten Landesregierungen setzten mit Wirkung vom 1. August 2007 ein Rauchverbot in Kraft, das allerdings regional unterschiedlich ausfällt. Nachdem die freiwillige Selbstverpflichtung der Gastronomie kläglich gescheitert war und die Bundesregierung die Verantwortung (insbesondere auf Betreiben der Nikotiniker im Bundestag Wolfgang Schäuble und Brigitte Zypries) mit zweifelhaften Ausflüchten auf die Länder abgeschoben hatte, mussten sich nun die Länderregierungen einzeln um verbindliche Regelungen für ihren Zuständigkeitbereich bemühen.

Entsprechend schwierig wird es nun für den Bürger, sich beim Überschreiten der Landesgrenzen mit einem uneinheitlichen Regelwerk auseinander setzen zu müssen. Insbesondere süchtige Raucher bräuchten dringend einheitliche Regeln, denn die Erfahrung zeigt, dass gerade diese Bevölkerungsgruppe besondere (Verständnis-)Probleme hat, wenn sie ihre Sucht nicht rücksichtslos und ungehindert überall ausleben dürfen. Erschwerend kommt hinzu, dass skrupellose Geschäftemacher keine Gelegenheit ungenutzt lassen, wenn es um die schamlose Ausnutzung des kleinsten Schlupfloches in den Gesetzestexten geht.

Nicht zuletzt leiden besonders die nicht rauchenden Bürger, darunter vor allem Kinder und Atemwegserkrankte, unter der Zweiklassengesellschaft die durch unzureichende Schutzmaßnahmen in einzelnen Bundesländern geschaffen wird. Denn in einigen Bundesländern sind gewisse Bevölkerungsgruppen, wie etwa die Beschäftigten in der Gastronomie, offensichtlich immer noch weniger schützenswert. Außerdem lassen einige Bundesländer den Qualmern noch großzügige Übergangsfristen, bevor diese die Vergiftung ihrer Mitmenschen endgültig unterlassen müssen. Ganz zu schweigen von den Ländern, die - ganz im Sinne der Tabakindustrie - die dringend erforderlichen Gesetze noch nicht einmal auf den Weg gebracht haben.

Immerhin sind es nun die ersten drei Bundesländer, die eine gesetzliche Regelung zum Schutz vor Passivrauchen bereits in die Praxis umgesetzt haben. Baden-Württemberg und Niedersachsen haben Rauchverbote in Gaststätten, Kliniken, Landesbehörden und Schulen eingeführt. Ähnliches gilt auch in Mecklenburg-Vorpommern, allerdings müssen hier die Beschäftigten der Gastronomie noch etwas länger unter dem Qualm leiden, weil dort die Regelung erst 2008 in Kraft treten soll.

Wie die Zeitungen berichten, gibt es indes zur praktischen Umsetzung noch viele ungeklärte Fragen. In Friedrichshafen ist von "einer großen Unsicherheit" die Rede, Tübingen will "keine Rauch-Sheriffs losschicken", in Stuttgart "brauchen die Raucher Zeit, das Verbot mitzubekommen", das Stuttgarter Ordnungsamt wird "keine Hexenjagd veranstalten" und Freiburg äußert "Ein Bußgeld sei nur möglich, wenn man jemanden ertappe". Seitens offizieller Stellen scheint also vielfach die Meinung vorzuherrschen, die Einhaltung des Gesetzes beziehungsweise dessen Durchsetzung würde gegen die rechtsstaatliche Ordnung verstoßen. Derartige Tatsachenverdrehungen werden besonders von Tabaklobbbyisten aller Art in die Welt gesetzt. Dabei ist das Gegenteil zutreffend. Passivrauchen stellt den Tatbestand der Körperverletzung (jedes Jahr in tausenden Fällen sogar mit Todesfolge) dar. Die neuen Gesetze wurden zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit geschaffen, ihre Durchsetzung ist gerade im Sinne unserer rechtsstaatliche Ordnung nicht nur rechtens, sondern notwendig und sinnvoll.

Das Ausmaß der Ahnungslosigkeit bei den betroffenen Verantwortlichen (insbesondere bei Wirten und Behördenvertretern) ist ein Zeichen, dass die Regierungen trotz der extrem langen Vorbereitungszeit ihre Hausaufgaben nicht sauber gemacht haben. Ob dies nun eine absichtliche Verzögerungstaktik im Sinne der Tabakindustrie ist, mag dahingestellt sein. Fakt ist, dass bereits bei der Informationspolitik gravierende Mängel festzustellen sind. Anders als in Irland, wo die Regierung nicht nur ein sauberes Gesetz verabschiedet, sondern auch im Vorfeld umfassende Vorbereitungen zur praktischen Umsetzung desselben getroffen hat, bleiben im angeblich so gründlichen Deutschland viele Probleme ungelöst.

Das niedersächsische Sozialministerium hat immerhin eine Telefon-Hotline eingerichtet. Ein Sprecher teilte mit, kurz vor Inkrafttreten des Rauchverbots hätten sich die Anrufe von Ratsuchenden gehäuft. Besonderer Klärungsbedarf bestand bei den erforderlichen Umbauten in Restaurants und Kneipen. Wobei anzumerken ist, dass hier bereits der erste Trugschluss liegt. Denn es gibt keinen Zwang zur Einrichtung von teuren Raucherräumen, ein einfaches Rauchverbot wie in Irland ist ohnehin die beste und unkomlizierteste Lösung für alle Beteiligten.

Probleme mit der Umsetzung des Landesgesetzes gibt es auch in Baden-Württemberg. So berichtet die Zeit: "Gastronomen bombardierten die Ämter mit Anfragen, etwa ob Essen durch den Raucherraum getragen werden kann oder ob der Weg zur Toilette durch den Raucherraum führen darf". Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) kolportiert eine "große Verunsicherung unter den Gastwirten". In den Medien kommen immer wieder Wirte zu Wort, die das Rauchen ausschließlich im Außenbereich nach italienischem Vorbild im kalten Deutschland für nicht durchführbar halten. Haben sie denn noch nie etwas davon gehört, dass Norwegen keine Restaurantgäste mehr räuchert (so der offizielle Werbespruch), und auch die Schweden positive Erfahrungen mit ihrem Rauchverbot gemacht haben?

Die Verantwortung für die völlige Ahnungslosigkeit der Gastronomen, die mit der Umsetzung des lange erwarteten Gesetzes total überfordert sind, muss sich in erster Linie der DEHOGA zuschreiben lassen. Der Verband hat es versäumt, seine Mitglieder über die Erfolge der Rauchverbote in Irland, Italien, Schweden oder Norwegen zu informieren, und anhand dieser funktionierenden lebenden Beispiele Wege und Chancen für die deutschen Wirte aufzuzeigen. Statt konstruktiever Lösungsvorschläge für die praktische Umsetzung hat der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband nur plumpe Raucherpropaganda und frei erfundene Horrormeldungen aus dem rauchfreien Ausland von sich gegeben. Der Verband hat seine Mitglieder nicht nur durch völlig unsachliche und ungerechtfertigte Panikmache zusätzlich verunsichert, sondern auch in manchen Fällen an den Rand ihrer Existenz gedrängt.

Selbst jetzt, nach Einführung entsprechender gesetzlicher Regelungen, wird die DEHOGA-Hauptgeschäftsführerin Ingrid Hartges nicht müde, gegenüber der dpa über angebliche Umsatzeinbußen zu lamentieren. In hunderten deutschen Zeitungen und tausenden Artikeln ist vom DEHOGA seit Jahren nur diese alte Leier zu vernehmen. Doch wer hat schon einmal darüber gelesen, wie die ohnehin notleidenden deutschen Gastronomen das große Potenzial der nicht rauchenden Bevölkerungsmehrheit endlich als Gäste gewinnen können? Solche positiven praktischen Ratschläge sind jedoch bei diesem Verband, der sich bereits vom VdC (Verband der Cigarettenindustrie) die Kampagne "Raucher sind die besseren Gäste" sponsern ließ, nicht im Geringsten zu erhalten. So drängt sich der Eindruck auf, der DEHOGA provoziert ganz bewusst den Bankrott seiner schwächsten Mitglieder, nur um irgendeine Rechtfertigung für seine tabakindustrienahe Verweigerungshaltung gegenüber einem Rauchverbot zu haben.

Kritik über die Unzulänglichkeit des niedersächsischen Gesetzes kommt auch von Gesundheitsexperten. Lungenspezialist Tobias Welte kritisiert: "Im Bereich des Arbeitsschutzes ist es sehr bedenklich, dass in der Gastronomie weiterhin in abgetrennten Räumen geraucht werden darf". Da die Angestellten auch in den Raucherräumen bedienen müssten, seien sie weiterhin an einem Arbeitsplatz beschäftigt, der nachweislich schadstoffbelastet und gesundheitsschädlich sei. Anders als in Baden-Württemberg können auch in niedersächsischen Diskos gesonderte Raucherräume eingerichtet werden.

Nur die Bundesdrogenbeauftragte Sabine Bätzing findet alles ganz toll: "Es haben mittlerweile wirklich alle verstanden, dass die Regelung möglichst einheitlich sein sollte. Das hat man ganz besonders in Niedersachsen gespürt, wo man jetzt zu einem umfassenden Nichtraucherschutz gekommen ist." Einem Schüler hätte man für einen derartigen Kommentar die Note Sechs verpasst - Themaverfehlung. Aber bei Politikern zählt offensichtlich nicht die Tat, sondern nur die Worte, mit denen die eigene Tatenlosigkeit in ein rosarotes Licht getaucht werden soll.

Die Mitteldeutsche Zeitung schreibt: "Bätzing betonte, die Gefahren des Passivrauchens seien in jedem Bundesland gleich". Die Drogenbeauftragte sollte die Ergebnisse der Länder jetzt nicht mit großen Worten kommentieren. Sie hätte die Gelegenheit gehabt, den aktuellen Flickenteppich über eine bundesweite Regelung zum Arbeitsschutz einheitlich zu regeln. Stattdessen hat sie sich ebenfalls von den Tabaklobbyisten breitschlagen lassen, die ein einheitliches und umfassendes Gesetz (wie es beispielsweise in Irland bestens funktioniert) durch eine Verzettelung in föderalistische Spitzfindigkeiten vereitelten.

Die bayerische Landesregierung hat im vergangenen Jahr noch große Töne gespuckt, als erstes Bundesland den besten Schutz vor Passivrauchen umsetzen zu wollen. Wieder einmal zeigt sich, wie weit die Selbstdarstellung der Politiker und die daraus resultierenden Taten voneinander entfernt sind. Doch auch in Bayern sollen die vom Passivrauch geplagten Menschen zum Beginn des neuen Jahres ebenfalls in den Genuss eines besseren Schutzes kommen. Und immerhin wird nach Angaben des Bayerischen Landesamts für Gesundheit nirgendwo in Deutschland so wenig geraucht wie im Freistaat. Hier liegt die Raucherquote noch bei 24,2 Prozent, eine deutliche Verbesserung gegenüber der vor zwei Jahren noch bei 27,2 Prozent liegenden Quote.


Quellen und weitere Informationen:

Beschwerdeautomat
Beschwerde über Verstoß gegen Gleichstellung behinderter Menschen
Petition zum Schutz der Beschäftigten in der Gastronomie vor Zwangsmitrauchen
Abschiedsbrief an Restaurant wegen Rauchbelastung
Anfrage nach rauchfreien Restaurants
Tabaklobby
FDP
CDU
CSU
SPD
B'90/Grüne
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